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25. März 2020, 9:53 Uhr
Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes: Vollmacht für den starken Mann
In dieser Woche soll eine Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes beschlossen werden.
Dem Entwurf zufolge soll die Bundesregierung eine "epidemische Lage von nationaler Tragweite" ausrufen können, wenn sie eine "ernsthafte Gefahr für die öffentliche Gesundheit in der gesamten Bundesrepublik Deutschland festgestellt hat".
Damit würde der Bundesgesundheitsminister weitreichende Machtbefugnisse bekommen.
Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe
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Im Grundgesetz wurden Lehren aus dem Ermächtigungsgesetz von 1933 gezogen
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Noch wichtiger ist dem Juristen aber ein zweiter Punkt - er hat mit dem Ermächtigungsgesetz von 1933 zu tun. Das muss man jetzt ganz vorsichtig formulieren, weil Meinel damit natürlich keinerlei Nazivergleiche ziehen will. Es geht vielmehr um eine Lehre, die das Grundgesetz aus dem unheilvollen Start des Hitlerregimes gezogen hat: Die Exekutive ist an die Gesetze gebunden, die das gewählte Parlament erlassen hat. Das gilt auch für Verordnungen, also jene Regelwerke, die sich manchmal wie Gesetze lesen, aber keine sind, sondern vom Ministerium in eigener Hoheit erlassen werden. Sie bedürfen einer sehr präzisen gesetzlichen Grundlage, die "Inhalt, Zweck und Ausmaß" regelt. So steht es in Artikel 80 Grundgesetz, das Bundesverfassungsgericht hat dies vielfach bekräftigt.
Schaut man nun in Spahns Gesetzentwurf, dann staunt man, welch gewaltiger Spielraum dem Ministerium in einer epidemischen Lage zustehen soll. Ein Beispiel: Derzeit wird unter Hochdruck nach einem Impfstoff gegen Corona gesucht, aber die Vorschriften für eine Zulassung neuer Medikamente sind streng.
Nach dem geplanten Gesetz könnte der Bundesgesundheitsminister "zur Sicherstellung der Versorgung mit Arzneimitteln" Ausnahmen von zahlreichen Gesetzen zulassen, vom Arzneimittelgesetz bis hin zur Zulassung von Medizinprodukten. Er könnte also, mit anderen Worten, die Erprobung von Impfstoffen in der Bevölkerung erleichtern. Eine schwerwiegende Entscheidung, die gravierende Folgen haben könnte, wenn der Massenversuch danebengeht. Soll das per Minister-Verordnung und ganz ohne Bundestag oder Bundesrat möglich sein?
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