Für Lenin läuft’s heut’ wie am Schnürchen
Das Gespenst der Planwirtschaft geht wieder um, dank Big Data und KI: Unternehmen und Staaten glauben, es besser zu können als der Markt – und fertigen mit beängstigender Effizienz alles Menschliche ab.
Was kommt nach dem Industriekapitalismus? Für Wladimir Iljitsch Lenin war die Sache bereits 1917/18 klar: Amazon. Natürlich sagte er es nicht so. Lenin kannte noch kein Internet und keine KI, weder Algorithmen noch Jeff Bezos. Aber Lenin wusste um die logistische Meisterschaft von Walter Rathenaus „Kriegsrohstoffabteilung“ im Deutschen Reich, die Front und Hinterland im Ersten Weltkrieg dank ausgeklügelter Pläne mit dem Notwendigen versorgte. Und er schätzte die Deutsche Post als eine Art Amazon avant la lettre: als hocheffizientes Verteilungssystem.
Kaum zu glauben? Aber wahr. Der russische Kommunist adelt im dritten Abschnitt des dritten Kapitels seiner Schrift „Staat und Revolution“ (1917/18) ausgerechnet die Monarchen-Post Wilhelms des Zweiten als „Muster sozialistischer Wirtschaft“. Als guter Klassenkämpfer kritisiert Lenin die „bürgerliche Bürokratie“ des Betriebs und die Ausbeutung der „‚einfachen‘ Werktätigen“, das schon. Und als guter Sozialist geht es ihm auch mit Blick auf die Reichspost darum, die Kapitalisten zu stürzen, sie „mit der eisernen Faust der bewaffneten Arbeiter“ aus dem Amt zu jagen. Aber das ändert nichts an Lenins Faszination: Der „Mechanismus der gesellschaftlichen Wirtschaftsführung“ sei bei der Post „bereits fertig vorhanden“, ja perfekt vorgebildet: „Unser nächstes Ziel ist es, die gesamte Volkswirtschaft nach dem Vorbild der Post zu organisieren… Das ist der Staat, das ist die ökonomische Grundlage des Staates, wie wir sie brauchen.“
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