Schweizer Mönche bei der Zwangsmissionierung in Kanada: "Töte den Indianer, aber rette den Menschen"
Hunderte von indigenen Kindern sind gestorben, als sie in Kanada zum Christentum bekehrt wurden. Auch Schweizer Kirchenleute waren dort tätig. Ihre Losung: «Töte den Indianer, aber rette den Menschen».
Seit Jahren wühlt der Kindesmissbrauch durch Kleriker die katholische Kirche auf. Jetzt wird ein anderes, unbekanntes Kapitel von Missbrauch, begangen von Geistlichen, geöffnet. Wiederum sind die Opfer Kinder, diesmal Indigene aus Kanada und den USA.
Auf dem Grundstück der katholischen Marieval Indian Residential School im Westen Kanadas wurden vor wenigen Tagen die Überreste von 751 Kinderleichen gefunden, beim katholischen Internat bei Kamloops in Britisch-Kolumbien Teile von 215 verstorbenen Kindern. Der jüngste Fund betrifft die Saint Eugene’s Mission School im westkanadischen Cranbrook, dort kamen 182 anonyme Kindergräber ans Licht. Die Körper, die häufig in nur einem Meter Tiefe verscharrt wurden, dürften laut Experten Kindern im Alter von sieben bis 15 Jahren gehört haben.
Für den Luzerner Historiker Manuel Menrath, der seit Jahren zur Zwangsmissionierung indigener Menschen in Nordamerika forscht, sind die Funde erst die Spitze des Eisbergs. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1997 seien in Kanada 150’000 Indianerkinder in 139 sogenannten Residential Schools umerzogen und zwangsassimiliert worden.
Geschätzte 6000 Kinder starben in den von katholischen Orden geführten Internaten wegen der prekären Lebensbedingungen. Auch in den USA befinden sich zahlreiche unmarkierte Gräber auf dem Gelände ehemaliger Indianerinternate, etwa bei der Carlisle School in Pennsylvania. «Es werden noch viele Kindergräber gefunden werden», prophezeit Menrath. In der kanadischen Öffentlichkeit wächst die Wut von Tag zu Tag, am Donnerstag wurde eine Statue von Königin Victoria in Winnipeg von Demonstranten gestürzt.
ard (AP, Keystone)
Das dunkle Kapitel der Vergangenheit betrifft allerdings nicht nur Kanada und die USA. Historiker Menrath hat entdeckt, dass in den Schulen auch zahlreiche Schweizer Missionare wirkten, insbesondere Benediktiner der Klöster Einsiedeln und Engelberg. Menrath macht auf einen bisher kaum bekannten Zusammenhang zwischen dem helvetischen Kulturkampf des späten 19. Jahrhunderts und der Missionierung der Indianer aufmerksam. Der Sonderbundskrieg von 1847 sorgte dafür, dass katholische Kulturkämpfer die Schweiz verliessen und sich im Ausland für ihre Kultur ins Zeug legten.
Schweizer missionierten in Reservaten
Zur Zeit des Kulturkampfs zwangen die Liberalen viele Klöster zur Schliessung. Auch die Einsiedler und Engelberger Benediktiner fürchteten um ihre Existenz. Mehrere Dutzend katholische Geistliche aus den unterlegenen Innerschweizer Kantonen emigrierten nach Nordamerika. Sie gründeten dort Töchterklöster, Einsiedeln etwa das Kloster St. Meinrad in Indiana, Engelberg die Conception Abbey in Missouri, die Benediktinerinnen von Maria-Rickenbach NW das Kloster Yankton in South Dakota. Sie missionierten in den Indianerreservaten und schwärmten auch nach Kanada aus, um in Residential Schools indigene Kinder zum Christentum zu bekehren.
Als Beispiel eines katholischen Missionars, der unter Kanadas Indianern missionierte, nennt Menrath den Genfer Louis Babel von der Gemeinschaft der Unbefleckten Jungfrau Maria. Menrath berichtet auch, wie ihm Überlebende solcher katholischer Schulen in Nordontario erzählt hätten, auch von Schweizer Ordensleuten missioniert worden zu sein.
In seinem neuen Buch «Unter dem Nordlicht» beschreibt er die Grausamkeiten in den Residential Schools und schildert, wie Überlebende bis heute an Depressionen, Alkohol- und Drogenmissbrauch und an einer hohen Suizidgefährdung leiden.
Mit der Losung «Töte den Indianer, aber rette den Menschen» versuchten laut Menrath die Missionare den Schulkindern alles Indianische auszutreiben.