https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/neue-holocaust-debatte-angestossen-der-katechismus-der-deutschen-17384312.html
Seit kurzem wird die Singularität des Holocausts auch von links in Frage gestellt: Sie verdränge koloniale Genozide und sei eine deutsche Zivilreligion. Die Argumente dieser Kritik sind voller historischer Lücken.
Von Jürgen Kaube
Aktualisiert am 14.06.2021-13:06
Je länger der Massenmord an den europäischen Juden zurückliegt, desto abenteuerlichere Behauptungen können über ihn gemacht werden. Das meint nicht seine Leugnung. Sie ist zu absurd, um mehr als ekelhaft zu sein. Vielmehr geht es um die Behandlung des Holocausts als „Narrativ“, dessen Bedeutung übertrieben werde. Es sei provinziell, heißt es derzeit, Auschwitz von allen anderen Genoziden der jüngeren Weltgeschichte zu unterscheiden. Die Chancen für solche Einordnungen der Shoah ins allgemeine Schlachtgeschehen der Historie erhöhen sich inzwischen schon aus demographischen Gründen. In deutschen Schulen treten gerade die letzten Überlebenden der Vernichtungslager auf. Soeben ist der älteste noch lebende Befreier von Auschwitz 98-jährig gestorben. Die biographischen Verbindungen werden dünner, und die Zeit ist unbarmherzig.
https://www.fr.de/kultur/gesellschaft/dirk-moses-angriff-auf-die-einzigartigkeit-des-holocaust-90886412.html
27.07.202115:38
A. Dirk Moses: Angriff auf die Einzigartigkeit des Holocaust
VonHarry Nutt
Mit steilen Thesen hat der australische Genozidforscher A. Dirk Moses einen neuen Historikerstreit entfacht. Ein erster Versuch, die Debatte zu verstehen.
Als Katechismus bezeichnet man seit Beginn der Neuzeit ein Handbuch der Unterweisung in die Grundfragen des christlichen Glaubens. Das Wort Katechismus ist ein Lehnwort aus dem Lateinischen, das wiederum auf das spätgriechische „katechein“ zurückgeht, was wörtlich so viel bedeutet wie „von oben herab tönen“.
Wenn der australische Historiker A. Dirk Moses die Annahme von der Singularität des Holocaust als „Katechismus der Deutschen“ bezeichnet, darf man also kaum davon ausgehen, dass er damit die diskursive Offenheit der geschichtspolitischen Debatten der letzten Jahre zu preisen beabsichtigt.