24 February 2025
Kriegsdienstverweigerung im Kriegsfall verboten
Wenn ein Strafsenat des BGH ohne Not die Verfassung falsch auslegt
Der BGH hat am 16.1.2025 einen Beschluss gefasst, der sich folgendermaßen zuspitzen lässt: Im Kriegsfall kann das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung aus Art. 4 Abs. 3 GG ausgesetzt werden. Eine Verfassungsänderung ist hierfür nach Auffassung des BGH nicht nötig. Vielmehr könnte bereits der einfache Gesetzgeber eine Aussetzung beschließen, da Verkürzungen des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 3 GG für den Verteidigungsfall im Grundgesetz selbst angelegt seien und sich im einfachen Recht bereits spiegelten (BGH Beschl. v. 16.1.2025 – 4 ARs 11/24, Rn. 30 ff., 50). Für deutsche wehrpflichtige Männer würde das bedeuten, dass sie uneingeschränkt zum Kriegsdienst mit der Waffe herangezogen werden dürften – selbst wenn ihr Gewissen es ihnen verbietet, mit Waffengewalt andere Menschen im Krieg zu töten, sobald Deutschland mit völkerrechtswidriger Waffengewalt angegriffen und der Verteidigungsfall nach Art. 115a GG festgestellt würde.
Das ist falsch. Das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung aus Art. 4 Abs. 3 GG ist auf den Kriegsfall zugeschnitten. Sein unantastbarer Kernbereich verlangt gerade für den Verteidigungsfall uneingeschränkte Geltung. Der Kernbereich von Art. 4 Abs. 3 GG ist abwägungsfest. Er darf nicht gegen die Verfassungsgüter der effektiven Landesverteidigung und der Funktionsfähigkeit der Bundeswehr aufgerechnet werden, die das BVerfG aus den Art. 12a GG, 73 Abs. 1 Nr. 1 GG und Art. 87a Abs. 1 GG ableitet: Das gesetzesvorbehaltlos gewährte Recht auf Kriegsdienstverweigerung räumt dem Schutz des Einzelgewissens Vorrang selbst gegenüber der Pflicht zur Beteiligung an der bewaffneten Landesverteidigung und damit an der Sicherung der staatlichen Existenz ein (BVerfGE 28, 243 [260]). Wieso kommt der BGH zu einem anderen Ergebnis, und wo biegt er falsch ab?
Kontext, bitte!
Der BGH hatte über einen ukrainischen Staatsbürger zu entscheiden, der in Deutschland den Kriegsdienst aus Gewissensgründen verweigert und gehofft hatte, dies schütze ihn gegen seine Auslieferung in die Ukraine. Die Ukraine hat das Recht auf Kriegsdienstverweigerung wegen ihres Verteidigungskrieges gegen den russischen Aggressor nämlich ausgesetzt. Der BGH erlaubt gleichwohl die Auslieferung von Kriegsdienstverweigerern, beschränkt sie aber allgemein auf den Fall, dass ein ersuchender Staat wie die Ukraine mit völkerrechtswidriger Waffengewalt angegriffen wurde.
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https://verfassungsblog.de/kriegsdienstverweigerung-kriegsfall-bundesgerichtshof/
BGH zu russischem Angriffskrieg auf Ukraine: Kriegsdienstverweigerung schützt nicht vor Auslieferung
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Aussetzung des Kriegsdienstverweigerungsrecht auch in Deutschland "prinzipiell nicht undenkbar"
https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/4ars1124-bgh-kriegsdienstverweigerung-russischer-angriffskrieg-ukraine-auslieferung
https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Akutell&Sort=12288&nr=140583&anz=1191&pos=2&Blank=1.pdf
(BGH Beschl. v. 16.1.2025 – 4 ARs 11/24, Rn. 30 ff., 50)