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Juli 2019, 15:54 Uhr
Prantls Blick
Die Kapitulationen der Ursula von der Leyen
EU Kommissionskandidatin von der Leyen wirbt um Parteien
Das EU-Parlament macht heute mit der designierten EU-Kommissionspräsidentin das, was früher die Kurfürsten mit dem designierten Kaiser gemacht haben.
Die politische Wochenvorschau von Heribert Prantl
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Am kommenden Dienstag ist der große Tag für Ursula von der Leyen. Wenn sie sehr viel Glück hat, wird sie vom Europäischen Parlament zur Präsidentin der EU-Kommission gewählt. Aber auch dann ist der Machtpoker noch nicht vorbei; dann beginnt er erst richtig. Dann beginnt nämlich verschärft das Ringen um das, was im Heiligen Römischen Reich die "Wahlkapitulationen" hießen.
1519 und 2019
Seit der Wahl Kaiser Karls V. im Jahr 1519 wurde den künftigen römisch-deutschen Kaisern von den Kurfürsten eine Wahlkapitulation vorgelegt, in denen die Regeln für die künftige Herrschaft festgelegt wurden. Die erste dieser Kapitulationen feierte soeben das fünfhundertjährige Jubiläum: Sie stammt vom 3. Juli 1519. Im Lauf der Jahrhunderte sind diese Kapitulationen dann immer umfangreicher geworden. Die letzte Kapitulation, ausgehandelt von den Kurfürsten mit Kaiser Franz II., stammt aus dem Jahr 1792; sie umfasst im modernen Druck 314 Seiten. Franz II. hat dann 1806 die Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation verkündet mit der Begründung, dass er nicht mehr in der Lage sei, die in der Wahlkapitulation eingegangenen Pflichten zu erfüllen.
Der Kaiser, der Papst und die EU-Kommissionspräsidentin
Solche Kapitulationen gab es nicht nur bei der Kaiserwahl. Es gab sie auch bei der Wahl des Dogen von Venedig, bei der Wahl des Papstes, bei der Wahl von Bischöfen: Es wurden die Rechte und die Pflichten des Gewählten und des Wahlgremiums festgelegt - ob das Wahlgremium nun aus den Kurfürsten, dem Kardinalskollegium oder dem Domkapitel bestand. Eigentlich haben diese Kapitulationen nichts mit Kapitulation, nichts mit Unterwerfung zu tun - das Wort kommt einfach von der Kapiteleinteilung der umfangreichen Urkunden. Aber darin ging es stets ganz wesentlich um die Kompetenzen - und der Kandidat machte Zusagen ans Wahlgremium für den Fall seiner Wahl. Seine Rechte wurden durch die Wahlkapitulationen präzisiert und eingeschränkt.
Die Kurfürsten und das EU-Parlament
Die Kurfürsten haben also mit dem designierten Kaiser so gerungen, wie heute das EU-Parlament mit dem designierten EU-Präsidenten oder der designierten EU-Präsidentin ringt. Es kam dann so eine Art Grundgesetz heraus, eine Verfassung für die kaiserliche Herrschaft. Jede Kaiserwahl war ein Anlass, das Reich und die Grundregeln des Regierens zu reformieren. Da waren, wie man so sagt, die Kurfürsten am Drücker. Und so ähnlich ist es heute auch: Die Macht der EU-Parlamentarier ist nie so groß wie erstens bei der Wahl des Kommissionspräsidenten bzw. der Kommissionspräsidentin - und dann zweitens bei der Wahl der Kommission. Es handelt sich bei der Bestellung von Kommissionschef und seiner/ihrer Kommission heute um ein zweistufiges Verfahren; deshalb ist die Pokerei und die Wahlkapituliererei mit einer Wahl von der Leyens noch nicht vorbei.
Ein Rendezvous mit Unbekannten
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was soll das?? was soll uns das sagen?