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Tageskorrektur
15.6.2020
https://www.deutschlandfunk.de/missbrauch-von-berliner-pflegekindern-studie-sieht.1773.de.html?dram:article_id=478608
Missbrauch von Berliner Pflegekindern
Studie sieht pädophiles Netzwerk auch in Behörden
Über Jahrzehnte gaben Berlins Jugendämter Pflegekinder in die Obhut eines Sexualstraftäters. Dieser Fall wurde nun von Hildesheimer Forschern aufgearbeitet. In deren Bericht ist die Rede von einem ganzen Netzwerk, "in dem pädophile Positionen akzeptiert, gestützt und verteidigt wurden".
30 Jahre lang gaben Berliner Jugendämter Pflegekinder in die Obhut von Fritz H. Der mittlerweile Verstorbene war ein Sexualstraftäter – das hat die Staatsanwaltschaft offiziell bestätigt. Hinweise darauf finden sich genügend in den Akten. Allein: Die Jugendämter reagierten nicht – drei Jahrzehnte lang, von 1973 bis 2003. Der Deutschlandfunk konnte mit zwei Betroffenen sprechen, die anonym bleiben wollen.
"Wir sind systematisch abgekapselt worden"
"Körperliche Züchtigung. Devise war gewesen: Er schlägt den Teufel in uns, nicht uns. Und der sexuelle Missbrauch, der mit sechs Jahren angefangen hat."
"Wir sind dort systematisch abgekapselt worden, und dementsprechend gab es keine Einflüsse von außerhalb oder sonst irgendetwas."
Mindestens zehn Kinder gaben die Jugendämter in die Betreuung des Sexualstraftäters Fritz H. – so dokumentiert es der Ergebnisbericht von Wissenschaftlern der Uni Hildesheim im Auftrag des Berliner Senats. Der Tod eines behinderten Pflegekindes 2001 führte lediglich zu zwei Vermerken in den Akten.
"Der Kleine ist gestorben, wir haben Glück, dass wir da noch lebendig rausgekommen sind."
"Der ist vor meinen Augen an einer normalen Grippe verstorben, weil der Pflegevater prinzipiell alle Ärzte abgelehnt hat, um den sexuellen Missbrauch zu vertuschen."
Pädagogische Einrichtungen in der Kritik
Im Zentrum der Verantwortung steht Helmut Kentler. Der mittlerweile verstorbene Pädagogikprofessor setzte sich für die Legalisierung von Sex mit Minderjährigen ein. Kentler war persönlich bekannt mit dem Pflegevater und Sexualstraftäter Fritz H., schrieb Gutachten in seinem Sinne. Die Wissenschaftler der Uni Hildesheim kommen in ihrer Studie allerdings zu der Erkenntnis, dass Kentler nicht alleine war.
"Dass es ein Netzwerk quer durch die wissenschaftlichen pädagogischen Einrichtungen, insbesondere der 1960er- und 1970er-Jahre gab, in dem pädophile Positionen akzeptiert, gestützt und verteidigt wurden."
Explizit genannt werden das Pädagogische Zentrum Berlin, das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, die Freie Universität und das Pädagogische Seminar Göttingen. Außerdem lassen sich Verbindungen nachweisen zwischen dem Pädagogischen Zentrum und der Odenwaldschule in Hessen, die nach Bekanntwerden des dortigen Missbrauchsskandals schließen musste.
Mächtige Männer aus Wissenschaft und Forschung
Die von der Berliner Senatsverwaltung beauftragten Wissenschaftler haben mit drei Betroffenen sprechen können. Einer von ihnen war in den 80er-Jahren von einem Westberliner Jugendamt zu einem Pflegevater nach Westdeutschland geschickt worden – einem Sozialpädagogikprofessor. Der Betroffene berichtete den Wissenschaftlern von Grenzverletzungen und kinderpornografischem Material. Erst nach einem massiven Aufbegehren konnte er den übergriffigen Pflegevater verlassen.
"Die bisherigen Hinweise verdichten sich, dass es sich bei diesen Pflegestellen um allein lebende, mitunter mächtige Männer aus Wissenschaft, Forschungseinrichtungen und anderen pädagogischen Kontexten gehandelt hat, die pädophile Positionen akzeptiert, gestützt oder auch gelebt haben."
Mitarbeiter der Jugendämter und der Senatsverwaltung seien Teil dieses Netzwerks gewesen, hätten so den Pädophilen Zugang zu jungen Männern und Kindern verschafft, schreiben die Autorinnen und Autoren in ihrem Abschlussbericht. Die Wissenschaftler nennen dies: "Kindeswohlgefährdung in öffentlicher Verantwortung". Die Betroffenen sagen es so:
"Das hier ist schlicht und einfach 'im Auftrag des Staates'. Man kann nicht normale kriminelle Aktivitäten vergleichen mit dem, was wir erleben mussten, im Auftrag des Staates."
Appell, die Aufklärung fortzusetzen
Der Bericht endet mit einem Appell an die Verantwortlichen, die Aufklärung fortzusetzen. Die Jugend- und Familienministerkonferenz müsse sich genauso damit befassen wie die betroffenen Fachverbände und wissenschaftlichen Organisationen von Sozialpädagogik, Erziehungswissenschaft und Psychologie.
Wie wurden wissenschaftliche Netzwerke zur Vertuschung und Verdeckung von sexueller Gewalt genutzt, wer trägt welche Verantwortung? Diese Fragen bleiben.